Wieso sich selbst zu lieben so wichtig ist
Wieso sich selbst zu lieben so wichtig ist
Interview mit Selbstliebeexpertin Sandra Wurster
Selbstliebe, Selfcare, Selbstbestimmung – diese Begriffe liest man in letzter Zeit häufig. Doch was steckt eigentlich dahinter und wieso fällt es manchmal so schwer, sich selbst zu lieben? Das zu beantworten ist gar nicht so einfach. Deshalb haben wir mit jemandem gesprochen, der sich wirklich auskennt: Sandra Wurster ist gelernte Tanzpädagogin und Gründerin der modernen Selbstliebe-Plattform „Bauchfrauen“, die sich für Body Positivity und Persönlichkeitsentwicklung einsetzt.
Hallo liebe Sandra, wer bist du und was machst du so?
Ich bin Sandra und ich bin 30 Jahre alt. Ich bin die Gründerin eines jungen Unternehmens, das sich mit Selbst- und Körperliebe auseinandersetzt. Unsere Firmenphilosophie ist es, Frauen zu empowern und sie daran zu erinnern, dass ihr Aussehen das Unwichtigste an ihnen ist. Der „geile shit”, wie wir es nennen, beginnt innen.
Du hast einmal gesagt: "Wahre Schönheit ist der Mut, du selbst zu sein und deine eigene Wahrheit zu leben". Wieso denkst du, dass Selbstliebe und Mut zusammengehören?
Das Zitat, welches ihr euch rausgesucht habt, ist der Titel meines neuen Buches. Und das ist eine sehr interessante Frage. Ehrlich gesagt, ist es an sich doch traurig, dass es überhaupt mutig ist, man selbst zu sein. Ich erinnere mich noch daran, wie ich früher so viele Komplimente bekommen haben, dafür, dass ich selbstsicher, authentisch und ich bin. Das habe ich nie verstanden und mich gefragt: Wie kann man denn nicht man selbst sein? Nachdem ich mich mit dieser Thematik viel beschäftigt habe und mir als Selbstliebe-Expertin mehr Wissen angeeignet habe, bemerke ich, wie schwer es doch vielen Menschen fällt, sie selbst zu sein.
„Ehrlich gesagt, ist es an sich doch traurig, dass es überhaupt mutig ist, man selbst zu sein.“
Langfristig müssen wir als Gesellschaft zu dem Punkt kommen, dass es gar nicht mehr mutig ist, seine Wahrheit zu leben. Dahin, dass wir uns frei machen von den Meinungen anderen und unser Leben genießen – und zwar als die Person, die wir sind. Denn wir haben nur das eine. Und es ist so schade, wenn wir es nicht in unserer Rolle leben, sondern eigentlich nur für andere, damit sie nichts haben, über das sie reden könnten. Ich bin der festen Überzeugung: Gibt den Leuten irgendetwas zu reden, damit das Leben bunter wird. Und sie reden immer, ob man sich anpasst oder nicht. Deswegen ist es doch eigentlich der erfüllendere Weg sich selbst zu lieben und zu akzeptieren für den Menschen, der man ist.
Aber um auf die Frage zurückzukommen: Es gibt zwei Grundmotive, in denen wir leben. Das Grundmotiv Liebe und das Grundmotiv Angst. Wenn wir im Grundmotiv Liebe leben, dann sind wir eher mutiger. Denn dann prägen wir den Satzanfang “Wieso nicht” für uns. Wieso nicht den Chef nach einer Gehaltserhöhung fragen? Wieso nicht den Mann oder die Frau an der Bar anquatschen? Daher gehören in der heutigen Welt Mut und Liebe zusammen. Wenn man im entgegengesetzte Grundmotiv der Angst lebt, wird man oft daran gehindert, mutig zu sein. Man fragt sich eher: Wieso sollte ich die Gehaltserhöhung bekommen? Wieso sollte sich der Typ an der Bar mit mir unterhalten wollen? Deswegen glaube ich, dass die Frage nicht ist, gehören Mut und Selbstliebe zusammen, sondern eher, wie kommen wir alle in das Grundmotiv Liebe.
Um im Grundmotiv Liebe zu leben, gehört eine Portion Selbstliebe dazu. Wie starte ich die Kennlern-Reise zu mir selbst denn am besten?
Jeder startet ganz anders und es gibt nicht den einen richtigen Weg. Schließlich wurden wir auch von unserem persönlichen Umfeld wie Eltern, Familie, Partner, Freunde und Co. ganz unterschiedlich geprägt und konditioniert. Aber egal wann man den Drang verspürt, sich selbst zu finden, sicher ist, dass man niemals zu alt ist und es sich wirklich immer lohnt, sich auf die Reise zu sich selbst zu machen.
Denn die längste Beziehung, die wir führen, ist die mit uns selbst. Und es ist einfach besonders lohnend diese Beziehung mit sich selbst friedvoll zu gestalten. Wie du beispielsweise mit dir sprichst, kann schon viel über deine Beziehung mit dir selbst verraten: Sprichst du wie eine beste Freundin zu dir, die dich supportet oder wie deine eigenen Kritiker? Für mich war einer der wichtigsten Schritte, herauszufinden, wie ehrlich ich zu mir selbst sein kann. Ich glaube, ehrlich zu sich selbst zu sein ist eines der größten Geschenke und da beginnt sehr vieles. Damit verbunden ist auch einmal zu schauen, in welcher Bubble ich mich gerade befinde und welche Bubble mir guttun würde, um einen friedvolleren Umgang mit mir zu bekommen.
„Ich glaube, ehrlich zu sich selbst zu sein ist eines der größten Geschenke.“
Hier geht es dann auch gar nicht um die Wahrheit an sich, sondern darum, welche Wahrheit DIR guttut und welche DU leben möchtest. Um einen anderen Blickwinkel zu bekommen und DEINE Bubble zu kreieren rate ich: Fang an Bücher zu lesen, die dir eine neue Perspektive schaffen, den Social Media Accounts zu folgen, die dich in deinem Sein supporten und nicht die, die dir sagen wie du zu sein hast. Reflexion ist einfach das A und O. Je ehrlicher du zu dir selbst bist, desto besser kannst du herausfinden, was du für dich tun musst, um die Person zu werden, die du sein möchtest. Also investiere in dich!
Doch bei aller Selbstsicherheit ist uns Manches unangenehm, vor allem dem/der Partner/in. Wie gehe ich damit um – beispielsweise bei Fragen und Themen rund um Sex oder Verhütung?
Interessant ist, was in unserem Gehirn passiert, wenn wir Scham verspüren. Es gibt dazu ein süßes Sprichwort aus Grönland, das besagt: „Wenn wir unsere Geister verstecken, dann werden sie größer“. Und so kann man sich das auch ein bisschen mit der Scham vorstellen. Also wenn wir bei manchen Thematiken bemerken, dass es uns unangenehm ist, darüber zu sprechen, beispielsweise mit dem Partner oder der Partnerin über Verhütung, dann wird es schlimmer, umso mehr Zeit wir dazwischen lassen. Dieses aufschieben verschlimmert die Situation und macht es nur noch unangenehmer darüber zu sprechen.
Wenn wir uns nicht trauen wirklich auszusprechen wie wir uns fühlen und was unsere Bedürfnisse sind, dann fühlt sich Leben immer an wie mit halb angezogener Handbremse. Man kommt nie so richtig in Gang, man hat nie das Gefühl im Flow zu sein oder die Fahrt zu genießen, es ist alles sehr mühselig. Deswegen, jedes Mal, wenn man sich traut über seine Scham oder verletzliche Themen zu sprechen, kann man wirklich einen inneren Freudentanz abfeiern. Es wird jedes Mal ein bisschen leichter. Und allein dafür lohnt es sich, darüber zu sprechen, finde ich.
Vielen Dank für das Interview, liebe Sandra!