Erfüllter Kinderwunsch trotz Endometriose?
Erfüllter Kinderwunsch trotz Endometriose?
Expertin Prof. Dr. Sylvia Mechsner klärt auf
Eine Familie gründen und zusehen, wie die Kleinen groß werden – das ist für viele Frauen ein Lebenswunsch. Vielen von ihnen gelingt es auch, ohne größere Hürden schwanger zu werden. Doch Frauen, die zum Beispiel an Endometriose erkrankt sind, können die Familienplanung oft nicht ganz so einfach in die Tat umsetzen. Prof. Dr. Sylvia Mechsner, Leiterin des Endometriosezentrums der Charité Berlin, erklärt, woran das liegt und welche Möglichkeiten Endometriose-Patientinnen mit unerfülltem Kinderwunsch haben.
Frau Prof. Dr. Mechsner, stimmt es, dass Frauen mit Endometriose sehr viel weniger Chancen haben schwanger zu werden?
„Nun ja, viele Menschen haben die Vorstellung, dass es nach Absetzen der Pille mit dem Kinderkriegen direkt losgehen kann. Das ist aber recht unwahrscheinlich – auch bei körperlich gesunden Frauen. Frauen zwischen 19-24 Jahren haben pro Zyklus eine 30 prozentige Chance, dass ihr Ei erfolgreich befruchtet wird. Bei Frauen im Alter von 20-29 Jahren liegt die Wahrscheinlichkeit bei etwa 18 Prozent, zwischen dem 34. bis 44. Lebensjahr sinkt sie weiter auf ca. 13 Prozent je Zyklus. Bedeutet, dass die meisten Paare etwas Geduld aufbringen müssen, bis die Frau schwanger wird. Deshalb sollten auch Endometriose-Patientinnen im ersten halben Jahr bis Jahr die Ruhe bewahren und sich nicht allzu große Sorgen machen.“ Im Allgemeinen kann man aber sagen, dass ein gesundes Paar bei regelmäßigem GV in über 90 % der Fälle auch nach einem Jahr schwanger wird. Daher leitet man eine weiterführende Diagnostik erst ein, wenn der unerfüllte Kinderwunsch länger als ein Jahr besteht. Bei Frauen mit bekannter Endometriose kann man sich die Situation etwas genauer auch frühzeitiger ansehen und dann entscheiden ob Maßnahmen erforderlich sind.
Was sind die Gründe dafür, dass Frauen mit Endometriose nicht so leicht schwanger werden?
„Je nachdem wie ausgeprägt die Endometriose ist, können unterschiedliche Organe betroffen sein, die für den Fortpflanzungsprozess eine wichtige Rolle spielen. So kann Endometriose zu entzündlichen Veränderungen, Verwachsungen oder Verklebungen in den Eileitern oder Eierstöcken führen. Auch Zysten an den Eierstöcken können die Eizellreifung und Eizellqualität beeinflussen. Außerdem kann die Endometriose das Milieu im Bauchraum und in der Gebärmutter verändern, was es Spermien schwerer macht, zu überleben. Das sind typische, aber längst nicht alle Beispiele, die eine Befruchtung erschweren oder in selten schlimmen Fällen sogar unmöglich machen.
Dennoch sollte man immer bedenken: So individuell Grad und Verlauf der Endometriose bei jeder Patientin sind, so steht es auch um die Chancen schwanger zu werden. Ich kenne Frauen, die jahrelang keine oder kaum Endometriose-Symptome gezeigt haben und dennoch mit einem unterfüllten Kinderwunsch leben mussten. Andere haben massiv unter den Begleiterscheinungen ihrer Erkrankung gelitten und dennoch überraschenderweise ein Baby bekommen – oder sogar mehrere. Es ist also schwer vorauszusagen, ob und vor allem wann eine Frau mit Endometriose ihren Kinderwunsch erfüllt bekommt.
Deshalb ist die frühe Diagnose der Endometriose so wichtig. Denn je länger eine Frau Beschwerden hat, desto größer ist ihr Risiko an Endometriose erkrankt zu sein und je ausgeprägter die Endometriose ist, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie unfruchtbar ist. Viele Frauen erfahren von ihrer Endometriose aber erst, wenn sie eine Kinderwunschklinik aufsuchen. Dann kann es aber auch schon zu spät sein.“
Welche Möglichkeiten haben Frauen mit Endometriose, um den Kinderwunsch wahrwerden zu lassen?
Endometriose-erkrankte Frauen geben sich oft die alleinige „Schuld“ daran, dass es mit dem schwanger werden nicht funktioniert. Dabei darf man natürlich nicht vergessen, dass zu einer erfolgreichen Befruchtung immer zwei gehören – und es auch durchaus möglich ist, dass der Mann seinen Teil zum unterfüllten Kinderwunsch beiträgt. Deshalb sollten sich die Partner parallel untersuchen lassen, um dem Grund für die Kinderlosigkeit auf die Schliche zu kommen.
Neben der Endometriose gibt es zudem noch zahlreiche andere Faktoren, die auf die Fruchtbarkeit einwirken können, etwa andere hormonelle Störungen wie Schilddrüsenfunktionsstörungen, Alkoholkonsum, Nikotingenuss, die Einnahme von Medikamenten oder seelisch-psychische Störungen.
Sollte sich herausstellen, dass die Endometriose tatsächlich die Ursache für den unerfüllten Kinderwunsch ist, dann stehen der Patientin unterschiedliche Behandlungsstrategien zur Verfügung, zu denen man sich bestenfalls in einer spezialisierten Kinderwunschklinik beraten lässt. Auch die operative Entfernung der Endometriose muss hier ins Konzept aufgenommen werden, am besten Kinderwunsch- und Endometriosezentrum arbeiten Hand in Hand um die beste Strategie für das Paar zu entwickeln.
Zyklus-Tracking
Frauen, die jünger als 35 Jahre alt sind und unter leichter bis mäßiger Endometriose leiden, sollten über einen Zeitraum von etwa 12 Monaten versuchen, den Zyklus so gezielt wie möglich zu beobachten, um schwanger zu werden. Eine operative Entfernung der Endometriose kann hier dann auch nochmal helfen, die Bedingungen zu verbessern.
Samenübertragung (IUI = Intrauterine Insemination)
Eine weitere Möglichkeit ist die Samenübertragung, auch Insemination genannt. Sie kann eine Option für Frauen mit leichter oder sehr gut entfernter Endometriose sein. Mit der Insemination kann man es etwa drei bis sechs-mal versuchen, doch die Erfolgsrate für diese Methode ist bei Frauen (insbesondere mit schwerer Endometriose) leider nicht sehr hoch. Vielmehr empfiehlt sich, direkt eine künstliche Befruchtung durchzuführen, da diese wesentlich mehr Erfolg verspricht.
Künstliche Befruchtung (IVF = In vitro-Fertilisation)
Anders als der Name vermuten lässt, findet diese Art der Befruchtung vollständig außerhalb des weiblichen Körpers statt. Durch Hormonbehandlung wird die Eizellreifung 10-14 Tage lang stimuliert. Sind genügend Eizellen herangereift, werden sie dem weiblichen Körper entnommen und beispielsweise in einem Reagenzglas befruchtet. Um die Erfolgswahrscheinlichkeit zu erhöhen, werden mehrere Eizellen verwendet, sodass man das befruchtete Ei welches sich am besten entwickelt, in die Gebärmutter einsetzt, wo es – im besten Fall – zu einem gesunden Embryo heranwachsen kann.
Eizellen einfrieren (Kryokonservierung)
Was viele nicht wissen: Es können sowohl Eizellen als auch Spermien eingefroren werden, auch wenn in den meisten Fällen von den „frozen eggs“ gesprochen wird. Dabei werden – wenn man keinen Partner hat – entweder nur Eizellen eingefroren (social freezing) oder auch die Eizellen im frühsten Stadium der Befruchtung genommen, nämlich dann, wenn das Spermium zwar in die Eizelle angedockt ist, die Zellkerne aber noch nicht miteinander verschmolzen sind. Diesen Zeitraum nennt man Vorkernstadium. So wird die frisch befruchtete Eizelle eingefroren und konserviert, wobei die Überlebenschancen mit etwa 70 % recht gut sind. Wichtig zu wissen: Die Eizellen „gehören“ nach der Befruchtung nicht der potenziellen Mutter. Hier hat auch der Partner, also der Samenspender, Rechte, die auch im Falle einer Trennung erhalten bleiben.
Man kann also sagen, dass es durchaus einige erfolgsversprechende Möglichkeiten gibt, mit denen Frauen, die an Endometriose erkrankt sind, schwanger werden und sich den Kinderwunsch erfüllen können. Dennoch gibt es leider für keine der Methoden eine Garantie und die meisten von ihnen sind relativ kostspielig. Eine künstliche Befruchtung wird beispielsweise nicht von allen Krankenkassen vollständig übernommen, die meisten erstatten nur 50%. Das social freezing (Eizellen einfrieren) wird nicht von den gesetzlichen Krankenkassen erstattet, wobei Krebserkrankungen hier ausgenommen sind. Deshalb rate ich Paaren mit unerfülltem Kinderwunsch, sich unbedingt umfassend beraten zu lassen und gemeinsam mit dem behandelnden Arzt oder der behandelnden Ärztin einen Behandlungsplan aufzustellen.